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Die unterschätzte Kompetenz: Reflexion als Grundlage jeder Transformation.

23.04.2025

In Organisationen wird viel entschieden, oft schnell. Manchmal zu schnell. Entscheidungen müssen zügig getroffen werden, heißt es dann, gerade in unsicheren Zeiten. Nur: Wer nie innehält, trifft irgendwann Entscheidungen, die nicht aus Klarheit und einem gemeinsamen Verständnis für Ziele und Rahmenbedingungen, sondern aus individuellen Automatismen und Annahmen entstehen. Damit Veränderungs- und Lernprozesse in Organisationen erfolgreich gelingen können braucht es eine grundlegende Kernkompetenz: Reflexion. Und es braucht eine Haltung in der Organisation, die diese Kompetenz wertschätzt und unterstützt.

Viele Unternehmen pflegen jedoch – bewusst oder unbewusst – Narrative, die Reflexion als Zeitverschwendung abtun. Dort gelten schnelle Entscheidungen und ein harter Führungsstil als Ausdruck von Effizienz. Und ja: es gibt Situationen im Führungsalltag, die schnelle, manchmal auch einsame Entscheidungen erfordern. Verfestigt sich das jedoch als zentrales mentales Modell, verlieren Organisationen ihre Fähigkeit zur Selbstregulation, zur Innovation und damit zur nachhaltigen Entwicklung.

Reflexion ist somit kein „Schönwetter-Instrument für leere Minuten“. Reflexion heißt hier, gemeinschaftlich zum Beobachter des organisationalen Denkens und Handelns zu werden und aus den Erkenntnissen und Einsichten gemeinschaftlich Entscheidungen abzuleiten und in die Umsetzung zu bringen. Wer heute Organisationen führt, muss nicht nur Ziele setzen – sondern auch ermöglichen, dass Menschen und Teams regelmäßig innehalten, Muster erkennen und aus Erfahrungen lernen.

Reflexion bedeutet:

  • Komplexität nicht zu verdrängen, sondern kooperativ zu verarbeiten
  • Entscheidungsfähigkeit zu stärken, ohne vorschnelle Vereinfachungen
  • blinde Flecken in Prozessen, Routinen und mentalen Modellen sichtbar zu machen
  • kollektives Lernen zu ermöglichen – über Hierarchie- und Bereichsgrenzen hinweg

Damit ist Reflexion direkt mit den Überlebensfragen moderner Organisationen verknüpft:

  • Wie innovativ sind wir wirklich – jenseits von Buzzwords?
  • Wie lernen wir aus Fehlern – systematisch und wiederholbar?
  • Wie sicher fühlen sich Mitarbeitende, wirklich zu sagen, was sie denken?
  • Wie gut verstehen wir, wie wir denken – und wie sich das auf Entscheidungen auswirkt?

Wichtig ist zu verstehen, wie wir Überzeugungen entwickeln, auf denen wir dann unsere Handlungen stützen. Die Abstraktionsleiter nach Peter M. Senge stellt dies bildhaft dar.

Die Abstraktionsleiter nach Peter M. Senge // © Change Akademie GmbH

Reflexion hinterfragt also unsere Überzeugungen. Sie ist damit die vielleicht unbequemste Arbeit, die eine Organisation leisten kann, denn sie verlangt, den eigenen Mustern auf den Grund zu gehen und das scheinbar Offensichtliche zu hinterfragen. Und dafür benötigt sie etwas, das in vielen Organisationen Mangelware ist: Zeit. Zeit, um stehen zu bleiben. Um zu begreifen, was getan wird. Warum es getan wird. Und was daraus für die Organisation entsteht. Es geht dabei aber um mehr als um persönliche Denk- und Kommunikationskompetenzen: Es geht um das tiefe Verständnis und das kollektive Einvernehmen darüber, dass Reflexion der Grundstein für jegliche Entwicklung ist, für alles Lernen und für jede Transformation.

Manager:innen, die das verstehen, schaffen den Rahmen für eine echte Lern- und Innovationskultur.

Eine Organisation, die das Prinzip der Reflexion ernst nimmt, kultiviert eine Praxis des Innehaltens. Sie etabliert Rituale, die den kollektiven Denkraum öffnen: Gemeinsames Beobachten, kritisches Fragen, geteilte Bedeutungsbildung. Sie fördert nicht nur Kommunikation, sondern Verstehen, nicht nur Wissen, sondern Einsicht – und damit die Fähigkeit, das eigene Handeln in Beziehung zu setzen – zum Kontext, zur Organisation, zu den Menschen, die sie tragen. Und genau das ist die Voraussetzung für Transformation.

Struktur statt Bauchgefühl: das Rad des Lernens

Rick Ross, Bryn Smith und Charlotte Roberts haben mit dem Rad des Lernens ein einfaches, aber kraftvolles Modell formuliert: Reflexion – Verknüpfen – Entscheiden – Handeln.

Das Rad des Lernens und das Rad des Teamlernens nach Rick Ross, Bryn Smith, Charlotte Roberts // © Change Akademie GmbH

Diese vier Phasen strukturieren Erfahrungslernen dienen dazu, „hektische Betriebsamkeit“ zu unterbrechen. Das Rad ist ein rhythmisches Prinzip: Es sorgt dafür, dass Organisationen nicht im Modus permanenter Reaktion verharren, sondern innehalten, Muster erkennen und ihre Strategien aus dem Gelernten heraus ableiten.

Die Team-Variante dieses Modells geht noch weiter: Reflexion wird hier öffentlich und gemeinschaftlich – Denkmodelle werden ausgetauscht, kollektive Einsichten generiert, Handlungsschritte gemeinsam entworfen. Das Ergebnis: koordiniertes, tragfähiges Handeln – auch in dynamischen Umfeldern.

Psychologische Sicherheit als Basis für Reflexion

Reflexion setzt voraus, dass Menschen sagen dürfen, was sie wirklich denken. Ohne Angst, sich zu blamieren oder negative Konsequenzen zu riskieren. Amy Edmondson nennt das in ihrem TEDx Talk psychologische Sicherheit – ein Arbeitsklima, in dem Fragen, Zweifel, abweichende Meinungen und auch das Eingeständnis von Fehlern als Teil eines gesunden Arbeitsprozesses gelten.

Fehlt diese Sicherheit, bleiben Reflexionen oberflächlich. Niemand zeigt Unsicherheit, niemand stellt kritische Fragen. Das Ergebnis: Stillstand. Deshalb gehört die Gestaltung vertrauensvoller Räume zu den ersten Aufgaben jeder Führungskraft, die echtes Lernen ermöglichen will. Das bedeutet konkret:

  • Aktives Zuhören
  • Nicht nur Ergebnisse bewerten, sondern den Kontext dahinter wahrnehmen und den Weg dorthin reflektieren
  • Fehler zum Thema machen, bevor sie zu Schäden führen
  • Unterschiedliche Sichtweisen aktiv einladen – und aushalten

Ein schönes Beispiel für einen progressiven Umgang mit Fehlern zeigt dieser LinkedIn-Beitrag unseres Schwesterunternehmens, der processline GmbH.

Wirksame Reflexionsformate

Damit Reflexion wirksam wird, braucht sie Räume, Struktur und Moderation. Bewährte Formate aus der Organisationspraxis sind zum Beispiel:

  • After Action Reviews (AARs): kurz, strukturiert, nach jedem Projekt oder Ereignis
  • MikroArtikel & CaseBooks: Lernerfahrungen schriftlich strukturieren, teilen und weiterentwickeln
  • Journaling: tiefer Einstieg in persönliche Reflexion, auch zur Aktivierung impliziten Wissens
  • Peer-Reflection & Kollegiale Beratung: Reflexion in kleinen, vertrauensvollen Settings
  • Retrospektiven & Dialogformate (Bohm-Dialoge): kollektive Muster sichtbar machen
  • Systemaufstellungen & Future Labs: tiefere systemische Dynamiken explorieren

All diese Formate schaffen Reflexionsräume, in denen nicht nur Probleme gelöst, sondern Lernprozesse angestoßen werden. Wichtig: Diese Formate entfalten ihre Wirkung nur dann, wenn sie konsequent eingeübt, begleitet und gepflegt und nicht als Zusatz-Meeting verstanden werden.

Literaturtipps für den Einstieg – und die Vertiefung

Wer sich tiefer mit dem Thema auseinandersetzen will, findet hier eine kleine Auswahl relevanter Literatur zum Thema und zu praxisnahen Reflexionsmethoden:

Reflexion und Lernen in Organisationen

  • Peter M. Senge – Die fünfte Disziplin (neuere Ausgaben): Klassiker, aber noch immer aktuell, v. a. mit Fokus auf Systemisches Denken und Lernende Organisation
  • Otto Scharmer – Theorie U (z. B. 2021 als aktualisierte Auflage): beschreibt u. a. das „Presencing“ – ein kollektiver Reflexions- und Bewusstwerdungsprozess
  • Donald Schön – Reflective Practitioner (1983): Klassiker für professionsübergreifendes Reflexionsverständnis, noch immer relevant
  • Chris Argyris – Organizational Learning II: für systematische Reflexion organisationaler Routinen und mentaler Modelle

Praxisnahe Reflexionsmethoden

  • Amy C. Edmondson – The Fearless Organization (2019): über psychologische Sicherheit als Voraussetzung für kollektives Lernen
  • Frederic Laloux – Reinventing Organizations (2015): zeigt, wie Reflexion integraler Bestandteil neuer Organisationsformen wird

Fazit: Reflexion ist ein zentraler Bestandteil wirksamer Steuerung

Reflexion ist kein Selbstzweck und manchmal genau das, was fehlt, wenn Organisationen sich festfahren, Entscheidungen im Kreis drehen oder Veränderungen ins Leere laufen.

Damit ist sie ein strukturelles Element guter Führung und ein oft übersehener Teil organisationaler Intelligenz. In der Praxis bedeutet das: Reflexion hilft, Erfahrungen zu systematisieren, implizites Wissen explizit zu machen und Annahmen zu hinterfragen, bevor sie zur Entscheidungsgrundlage werden.

Organisationen, die regelmäßig reflektieren – ob in Teams, auf Führungsebene oder bereichsübergreifend – erhöhen ihre Fähigkeit zur Selbstbeobachtung und damit zur Selbststeuerung. Sie erkennen Muster früher, reagieren bewusster auf Veränderungsimpulse und können komplexe Zusammenhänge besser einordnen.

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