
Selbstorganisation in Unternehmen – Wunsch oder Wirklichkeit?
Im fundamentalen Wandel der Arbeitswelt gewinnen Konzepte wie Selbstorganisation zunehmend an Bedeutung. Doch wie steht es tatsächlich um die Akzeptanz und Umsetzung in Unternehmen? Eine kürzlich durchgeführte Umfrage der Change Akademie beleuchtet genau diese Fragen – mit spannenden Ergebnissen.
Zwischen März und Juli 2024 wurden die folgenden Fragen in Form einer Online-Umfrage an fast 3.000 berufstätige Personen verteilt. Die Teilnahme war unabhängig von Position, Betriebszugehörigkeit und Art des Unternehmens, in dem die Personen beschäftigt sind und die Antworten wurden anonym ausgewertet. Die resultierende Stichprobe offenbart durch die qualitativen und quantitativen Anteile der Befragung interessante und repräsentative Tendenzen.
Selbstorganisation: Ein Konzept, das polarisiert
Die Umfrage zeigt, dass Selbstorganisation in vielen Unternehmen noch ein zweischneidiges Schwert ist. Auf der einen Seite gibt es eine hohe Bereitschaft, die Vorteile wie mehr Flexibilität und Eigenverantwortung zu nutzen. Auf der anderen Seite bestehen jedoch klare Herausforderungen – insbesondere in Bezug auf Kultur und Vertrauen.
Auf die Frage Wie selbstorganisiert arbeiten Sie und/oder Ihre Mitarbeiter:innen im Unternehmen? geben 53% an, sehr selbstorganisiert zu arbeiten, 7% dagegen kaum, 20% arbeiten situationsabhängig selbstorganisiert.
Welche Bedeutung messen Sie persönlich Selbstmanagement zu?
Hier liegen die Werte etwas höher. 60% der Befragten schätzen es sehr wichtig ein, selbstorganisiert zu arbeiten, fast 30% finden es zumindest wichtig. Für 8% spielt es keine Rolle.
Die Antworten auf die Frage Was bedeutet Selbstorganisation für Sie? spiegeln eine Palette von verschiedenen Perspektiven. Sie reichen von praktischen organisatorischen Ansätzen wie „Arbeiten ohne Anweisung von oben“ und „Verantwortung für das Ergebnis“ über strukturelle Merkmale wie „flache Hierarchien“ und „eine offene Kommunikationskultur“ bis hin zu übergeordneten Visionen, wie „die Vergrößerung des Einflusses innerhalb der Organisation“ und „die eigenverantwortliche Priorisierung von Aufgaben“.
Bezüglich der Frage In welcher Form sind Sie bereits mit dem Thema Selbstorganisation in Berührung gekommen? zeigen sich ebenfalls unterschiedliche Erfahrungen. Die Bandbreite reicht hier von der Aussage „vor allem in meiner aktuellen Firma“ bis hin zu „jahrzehntelanger Erfahrung“. Besonders häufig begegnet wurde dem Thema Selbstorganisation in den Bereichen agiles Arbeiten, New Work und der bereichsübergreifenden Zusammenarbeit.
Welche Voraussetzungen müssen Ihrer Ansicht nach in der Organisation erfüllt sein, damit Selbstorganisation wachsen kann?
Die Befragten wurden gebeten, die Bedeutung verschiedener Faktoren für eine erfolgreiche Selbstorganisation zu bewerten.
Die Top-Faktoren für erfolgreiche Selbstorganisation
1. Entsprechende Kompetenzen der Mitarbeitenden
66,7 % der Befragten stimmten „voll zu“ und weitere 20 % „stimmen zu“, dass die Kompetenzen der Mitarbeitenden essenziell für erfolgreiche Selbstorganisation sind. Mit fast 90 % Zustimmung zeigt dieses Ergebnis eine deutliche Einigkeit über die zentrale Bedeutung dieses Faktors – ein klarer Schwerpunkt für die Weiterentwicklung und Qualifizierung.
2. Offene Kommunikation
Offene Kommunikation wurde von 66,7 % der Befragten mit „stimme voll zu“ und von weiteren 26,7 % mit „stimme zu“ bewertet. Mit einer Gesamtzustimmung von über 93 % gehört dieser Faktor zu den wichtigsten Grundlagen für Selbstorganisation. Dies unterstreicht, dass ohne transparente und ehrliche Kommunikation selbstorganisierte Strukturen kaum erfolgreich funktionieren können.
3. Aktiv gelebte Reflexionskultur
64,3 % stimmten „voll zu“ und 21,4 % „stimmen zu“, dass eine aktiv gelebte Reflexionskultur entscheidend für Selbstorganisation ist. Mit über 85 % Zustimmung zeigt sich, dass regelmäßige Reflexion und ein bewusster Umgang mit Feedback unverzichtbar für die kontinuierliche Verbesserung und Anpassung in selbstorganisierten Teams sind.
Die richtigen Voraussetzungen schaffen
Welche Stolpersteine müssen Ihrer Ansicht nach auf dem Weg zu mehr Selbstführung überwunden werden?
Trotz unterschiedlicher Ansätze der Umfrageteilnehmer:innen kristallisiert sich ein gemeinsamer Tenor heraus: Es braucht ein förderliches Umfeld, das essenzielle Parameter wie „Vertrauen und Sicherheit trotz vieler Unsicherheiten“ sowie eine gelebte „Feedback- und Fehlerkultur“ enthält.
Ein zentraler Schritt ist der Umbau der „hierarchischen Aufbauorganisation in eine neue soziale Struktur“. Gleichzeitig müssen „eingeübte Vorstellungen von Führung und Hierarchie“ hinterfragt und überwunden werden. Diese Transformation stellt für Management und Mitarbeitende gleichermaßen eine Herausforderung dar. Es gilt, Verantwortung nicht nur abzugeben, sondern auch anzunehmen – und das von beiden Seiten. „Führung muss die Selbstführung wollen“, betont ein Teilnehmer. Doch insbesondere die „Angst vor Kontrollverlust“ kann je nach Persönlichkeit ein großes Hindernis darstellen.
Auch die Anforderungen an die Mitarbeitenden sind anspruchsvoll: „Der Einzelne muss effizient und selbstständig arbeiten, damit das Team und die Organisation erfolgreich sein können.“
Dabei ist es ebenso wichtig, Grenzen zu erkennen und zu akzeptieren: „Rahmenparameter, die nicht beeinflussbar sind, müssen akzeptiert werden.“
Ein konkreter Ansatzpunkt ist der Umgang mit kulturellen Prägungen und Narrativen innerhalb des Unternehmens. „Kulturelle Erfahrungen, die Selbstführung verhindern, müssen durch neue, förderliche Erfahrungen ersetzt werden.“ Gleichzeitig sollte der Wandel hin zu Selbstführung nicht wie ein “Ingenieursprojekt” behandelt werden. Dieser Ansatz, so simpel er klingt, bringt die notwendige Grundeinstellung treffend auf den Punkt.
Welche Kompetenzen sind für eine Führungskraft von selbstorganisierten Teams notwendig?
Für Führungskräfte selbstorganisierter Teams sind besonders Selbstreflexion und Vertrauen entscheidend, da jeweils 80 % der Befragten diese Kompetenzen als essenziell bewerten. Ebenso wichtig ist eine Offenheit für Weiterentwicklung (73 % „stimme voll zu“) und die Fähigkeit, Motivation und Inspiration zu fördern (67 %). Ergänzend spielen Empathie, Entscheidungsfähigkeit und Konfliktmanagement eine zentrale Rolle, da sie die Zusammenarbeit und Problemlösung im Team stärken. Diese Kompetenzen bilden die Grundlage für ein erfolgreich selbstorganisiertes Arbeitsumfeld.
Bewertung der harten und weichen Faktoren
Ich bin überzeugt, dass mehr Selbstorganisation in bestimmten Fällen der Organisation folgenden Nutzen bringt:
Während 20 % der Befragten hier allgemeine Vorteile wie „bessere Ergebnisse und Effizienz“ nennen, fokussieren sich die meisten Antworten auf Aspekte wie Arbeitszufriedenheit und Mitarbeiterbindung – ein Ergebnis, das sich mit aktuellen Studien deckt. Besonders hervorgehoben werden dabei Faktoren wie „erhöhte intrinsische Motivation“, „höheres Engagement“, „mehr Motivation“, „gesteigerte Identifikation“ und „verstärkte Selbstwirksamkeit“. Wenn Mitarbeitende „ihren eigenen Beitrag erkennen“, kann dies zu „mehr Zufriedenheit mit der eigenen Aufgabe“ führen. Allerdings wird auch betont, dass die Wirkung ausbleiben kann, wenn individuelle Beiträge keine ausreichende Beachtung finden.
Neben diesen „weichen“ Faktoren sehen die Teilnehmenden auch konkrete Vorteile in “schnelleren Reaktionszeiten”, „mehr Raum für Innovation“ und „fundierteren Lösungen für komplexe Problemstellungen“. Eine Einschränkung zeigt sich jedoch bei der Aussage, dass Selbstorganisation vor allem bei „überschaubaren Themen“ eine „schnelle Lösungsfindung und Umsetzung“ ermöglicht.
Fazit
Die Umfrage zur Selbstorganisation in Unternehmen hat einen klaren Trend gezeigt: Während das Konzept von Selbstorganisation in vielen Unternehmen auf Zustimmung stößt und als vielversprechend für mehr Flexibilität, Eigenverantwortung und Arbeitszufriedenheit betrachtet wird, sind die Herausforderungen bei der praktischen Umsetzung nicht zu unterschätzen. Es wurde deutlich, dass Selbstorganisation insbesondere durch ein starkes Vertrauen innerhalb der Organisation, eine offene Feedback- und Fehlerkultur sowie die Bereitschaft zur kontinuierlichen Weiterentwicklung gefördert werden kann.
Zentrale Voraussetzungen für den Erfolg sind Selbstreflexion, Vertrauen und Motivation, die von fast allen Befragten als Grundlage für eigenverantwortliches Handeln und Zusammenarbeit betont wurde. Gleichzeitig zeigen sich deutliche Stolpersteine: Die Transformation von hierarchischen Strukturen hin zu mehr Selbstführung erfordert eine grundlegende Veränderung der Unternehmenskultur und das Überwinden tief verwurzelter Vorstellungen von Führung und Kontrolle.
Die Umfrageergebnisse legen nahe, dass der Weg zu einer erfolgreichen Selbstorganisation vor allem auf der Bereitschaft zur Veränderung auf allen Ebenen basiert. Unternehmen müssen nicht nur die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, sondern auch die Verantwortung für diesen Wandel sowohl bei Führungskräften als auch bei den Mitarbeitenden ansetzen. Nur wenn beide Seiten aktiv an der Transformation teilnehmen, kann das volle Potenzial der Selbstorganisation entfaltet werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Selbstorganisation in Unternehmen ein vielversprechender Ansatz ist, um Innovation, Arbeitszufriedenheit und Mitarbeiterbindung zu steigern. Sie stellt jedoch auch hohe Anforderungen an die Unternehmenskultur, Führungskompetenzen und die Bereitschaft zur Veränderung.
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